Radfernfahrt Hagen - Wien
vom 16.05.1994 bis 29.05.1994

von Rudi Lorenz

Nun war es endlich soweit! Nach 9-monatiger Vorbereitungszeit sowie einem vergeblichen Anlauf im vergangenen Jahr ging es am Montag, dem 16.05.1994 um 9.15 Uhr los. Die für 1993 geplante Wiedereröffnung des Studienzentrums Wien, eigentlicher Anlaß der Radfernfahrt, hatte sich um 1 Jahr verzögert. Letztlich fanden sich, nach anfänglich 80 Interessierten, noch 12 Unentwegte hinter dem AVZ II ein.

Über die diversen Schwierigkeiten bei der Planung wäre ein eigener Artikel zu schreiben, an dessen Ende gleichwohl das hervorragende Resultat der Bemühungen unseres Organisationsstabes um Raimund Pfundtner stehen würde. Auch die freundliche Unterstützung durch die FernUniversität, deren Freundeskreis und den AStA (u.a.: Stellung eines Begleitfahrzeuges, Übernahme eines Teiles der Übernachtungskosten), soll an dieser Stelle dankend erwähnt werden.

Nach der offiziellen Verabschiedung begleitete uns ein Fernsehteam auf dem kurzen Stück bis zum Ende der Feithstraße. Ziel des ersten Tages war das Naturfreundehaus in Burbecke (Sauerland). Dank der Streckenführung längs der Lenne, blieben wir fürs Erste von größeren Steigungen verschont. Am Ende dieser 87 km langen, regenfreien Etappe stand das allgemeine Resümee: So einfach wird es nicht blei- ben!

Diesbezügliche Befürchtungen sollten sich bereits am Dienstag bestätigen. Zwar hielt der Himmel nochmals ganztägig seine Schleusen geschlossen, doch ging es bereits nach 15 km hinein in den Naturpark Rothaargebirge, will heißen, hinauf zur über 600 m über NN gelegenen Wasserscheide zwischen Nord- und Ostsee. Am vereinbarten Halt, dem Rhein-Weser-Turm, fanden wir Stärkung im von Frau Pfundtner zuverlässig pilotierten, vor allen Dingen jedoch allmorgentlich bis zur Beladungsgrenze mit Eß- und Trinkbarem aufgerüsteten Begleiffahrzeug (Renata - du warst die Beste!).

Von der Aussichtsplatfform hatte man zugegebenermaßen eine schöne Rundumsicht, wenn auch nicht den versprochenen gleichzeitigen Blick auf Rhein und Weser. Nach insgesamt über 106 km recht hügeliger Mittelgebirgsstrecke erreichten wir das, mit abgeschieden gelegen vorsichtig beschriebene Naturfreundehaus in Marburg-Marbach . In der persönlichen Nachbetrachtung erwies sich dieser Tag größtenteils als positiver Knackpunkt. Obschon erst der Mittwoch die physisch größten Anstrengungen bringen würde, so bedeutete vielen jedoch das Durchhalten zwischen Burbecke und Marburg die Gewißheit, auch den Rest der Strecke erfolgreich zu bewältigen.

Da lag sie nun vor uns: Die "Königsetappe" Marburg - Bischofsheim (Rhön), veranschlagt mit 135 km (letztendlich beinahe 150 km lang), mitten durch die Täler und Höhen der Rhön, zudem noch geplant von "einem" der erst in Bamberg zu uns stoßen würde (auf den man folglich bei jedem Anstieg alle Verwünschungen herbeirief - t'schuldigung Christoph). Und trotzdem, natürlich spielt an einem solchen Tag auch das Wetter nicht mit, war es das vielleicht schönste Teilstück der ganzen Tour. In Poppenhausen (km: 130) ließen wir es uns, unbeachtet des fast ständigen Re- gens, nicht nehmen den Umweg über die 600 m höher gelegene Wasserkuppe zu wählen. Oben blieb nur Zeit für ein paar schnelle Erinnerungsphotos (kalt wars), einen kurzen Schluck aus der Siegerpulle - eine Bierflasche aus unserem Begleitfahrzeug - um dann mit letzter Kraft die verbliebenen 10 km zur Pension "Rhönlust" zu radeln

Spätestens an diesem Abend stand fest: Die Gruppe hatte sich gefunden. Sowohl über die gemeinsam ertragenen Widrigkeiten, wie die zusammen noch verstärkt empfundenen positiven Eindrücke, bildete sich so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft.

Auch auf der vierten Tagesetappe von Bischofsheim durch die Naturparks Bayerische Rhön, Grabfeld und Haßberge nach Bamberg (125 km) bewährte sich die gewählte Form der Streckendrittelung mittels zweier Zwischenverpflegungsstops. So blieben wir bis zum Ziel in Wien von ernährungsbedingten Schwächeanfäilen gänzlich verschont.

In Bamberg stieß Christoph Bach (s.o.) als erste Verstärkung zu uns in die Pension Maisel-Bräu Stübl.

Am Freitagabend konnten wir nach 113 km durchs Fränkische in Spalt die positive Halbzeitbilanz ziehen: 580 km geradelt, keine Unfälle (im Stand umzufallen zählt nicht mit, Helmut!). Auf technischer Seite waren lediglich eine Reifenpanne sowie die Reparatur einer ominösen Zentralschraube an Lutz' ansonsten unverwüstlichem Kettler-Alurad zu beklagen. Auch das Wetter hatte sich bis dato weitestgehend an die Vorgaben: Nachts Regen, tagsüber trocken aber nicht zu warm gehalten.

Gemeinsam mit einem weiteren Mitstreiter, Enno de Vries, nahmen wir die zweite Hälfte in Angriff. Diese führte uns am Samstag, nach anfänglich relativ hügeliger Wegstrecke, zum Altmühlradwanderweg. Der dort befürchtete autobahnähnliche Verkehr blieb glücklicherweise aus und so konnten wir unsere Aufmerksamkeit ganz der idyllischen Landschaft längs des Flusses widmen. Übernachtungsdomizil am Endpunkt des 117 km langen Teilstückes war die Gasthofbrauerei Frischeisen in Kelheim, unweit des Zusammenflusses der Altmühl und der Donau. In diesem Zusammenhang möchte ich Marianne Lehmann danken, die im Vorfeld Auswahl und Buchung unserer Quartiere organisierte. Sie hat dabei, das läßt sich nachbetrachtend ohne Abstriche konstatieren, ein "goldenes Händchen" bewiesen.

Mit den neu hinzugekommenen Cornelia Geisel (Begleitfahrzeug), Regine Reuter und Bernold Bauer (Power-Berni) nahmen 16 Radler die 7. Etappe Kelheim - Passau in Angriff. Trotz der distanzverkürzenden Routenwahl über das südlich der Donau gelegene Hochplateau sollte uns dieser Tag mit über 150 km die längste Tagesentfernung bringen.

Eine ganz besondere, wiewohl positive Erfahrung bedeutete die letzte Übernachtung auf deutschem Boden im Passauer Rotel Inn, einer Art Touristenschließfach in Großformat. Seinen ganz persönlichen Auftritt brachte am Pfingstmontag unserem österreichischen Tourteilnehmer Peter Hauser (cw-Wert auf dem Fahrrad nahe 1) die Grenzüberfahrt. Direkt hinter dem Schlagbaum streifte er sich das vorher sorgfältig gehütete Fußballtrikot des Teams Austria über.

Am Abend im Jugendgästehaus Linz bilanzierten wir 100 km topfebenen, in eine malerische Landschaft eingebetteten, Donauradwanderweg, mit einer sportlichen Ambitionen kontraproduktiv gut ausgebauten gastronomischen Infrastruktur. Dienstagmorgen stand zunächst ein kleiner, vom Studienzentrum Linz initiierter Empfang in der Universität an. Gut beköstigt und um einige Erinnerungsgaben reicher verließen wir Linz in Richtung des 120 km entfernten Melk. weltbekannt durch das dortige Stift. Weiterhin dem Verlauf der Donau folgend bleibt von diesem Tag der Eindruck eines touristisch erschlossenen, ergo hektischen Flußabschnittes. Ernüchterung machte sich nach der Übernachtung im örtlichen Jugendgästehaus breit: Strömender Regen zu Beginn der letzten Etappe und kein Wolkenloch am Himmel auszumachen. Die feuchte Witterung blieb jedoch nur bis zum ersten Etap- penhalt durch ein sich zunehmend öffnendes Donautal unser Begleiter. Bis zum vereinbarten, lange ersehnten Treffpunkt am Ortsschild der Stadt Wien(ca. 40kB) gelang es Dirk Gouders (und in dessen Windschatten Bernd Scheffe) die vorher avisierten 20 Minuten zwischen sich und den Rest der Gruppe zu legen - well done, Dirk.

Wir hatten es geschafft - noch das kurze Stück zum Brigittenauer Jugendgästehaus geradelt - und dann erstmal Seele und Leib ausbaumeln gelassen. Die folgenden 3 Tage ließen uns, eingerahmt von einem offiziellen Programm (Empfänge auf dem Rathausplatz - dem ORF immerhin einen Fernsehbericht wert - und im Studienzentrum Wien eine Vernissage des Dortmunder Malers Hans-Karl Steffen sowie 2 Heurigenabende), die Möglichkeit der Stadterkundung auf eigene Faust.

Eine nüchterne Bilanz könnte sich in Fakten wie: 1200 km Wegstrecke in 10 Tagen zurückgelegt, 4 leichtere Stürze (begründet in der auf den letzten Teilstücken nachlassenden Konzentration), 8 Tage gutes und 2 Tage schlechtes Wetter, erschöpfen. Für uns selbst aber, die Teilnehmer der Radfernfahrt Hagen - Wien, wird mehr zurückbleiben als ich es mit einigen Zeilen auszudrücken vermag. Vielen Dank Raimund - und natürlich allen Mitorganisatoren - es war einfach wunderbar!

PS: Während unserer Tour hielt sich hartnäckig das Gerücht, 1995 würde ein Studieninformationszentrum in Kiew eröffnet. Wär doch was, oder? (Sind auf der Karte auch nur 7 cm!)


Christian Schulz, 1995-04-07
Vielen Dank an Frank Steinert, LG Statistik, fuers Scannen.